Wie ich letzte Woche erzählte, wurde mein Bruder einige Monate nach unserer Flucht nach Deutschland offiziell aus der Tschechoslowakei ausgewiesen und durch das DRK über die Grenze zu meinen auf ihn wartenden Eltern gebracht (und wieder frage ich mich, wie ihnen wohl zumute war). Er muß ca. 1 ½ Jahre alt gewesen sein und hatte die Monate bis zu seiner Ausweisung zum großen Teil bei meiner Großmutter (mütterlicherseits) und bei den drei Brüdern meiner Mutter verbracht. Die offizielle Ausweisung hatten wir allerdings der Hartnäckigkeit meines Großvaters (väterlicherseits) zu verdanken, denn er kämpfte fast täglich verbissen um jedes Stück Papier, um die Aufmerksamkeit von Behörden, um das Recht der Eltern ihre Kinder bei sich zu haben. Wie er das tatsächlich geschafft hat, weiß ich bis heute nicht. Allerdings habe ich gute Erinnerungen an meinen Großvater und kann mir sehr gut seine bestimmten Auftritte bei den Behörden vorstellen.
Unnötig zu sagen, wie sehr mein Bruder in diesen Monaten verwöhnt wurde. Nach den Erzählungen meiner Mutter muß die Bahnfahrt von der Grenze zurück ins Ruhrgebiet für sie fürchterlich gewesen sein, denn mein Bruder weinte nach seiner Oma, nach Süssigkeiten, nach seinen Onkeln – nur zu der eigenen Mutter wollte er nicht.
Ein paar Tage nach seiner Ankunft bekamen wir Besuch von der lokalen Presse und ein Bild der wieder glücklich vereinten Flüchtlingsfamilie erschien in den Zeitungen.
Was in diesen Tagen nach seiner Ankunft passierte, war fast unbeschreiblich und jegliche Anspielungen an diese Zeit lassen uns in lautes Gelächter ausbrechen. Mein Bruder wollte nur Süsses essen, also aß er geschlagene süße Sahne, Schokolade, Bonbons. Jegliche Versuche, ihn mit „normaler“ Nahrung zu versorgen, endeten in Schreikrämpfen, Tränen und Zornausbrüchen.
Wir wohnten zu der Zeit schon in Castrop-Rauxel. Die Stadt Nürnberg hatten wir relativ schnell verlassen, waren dann wenige Wochen in einer ähnlichen Einrichtung im Ruhrgebiet und bezogen anschließend ein großes Zimmer in einem Haus in Castrop-Rauxel. Von hier ging es ein paar Monate später nach Dortmund, in die erste eigene Wohnung in Deutschland.
In diesen Wochen und Monaten hatten wir natürlich auch schon andere tschechische Familien oder Personen kennengelernt, zu manchen haben meine Eltern noch heute Kontakt. Aber ein Ereignis war für mich unerträglich: die Abreise des Bruders meines Vaters und seiner Familie in die USA. Wieder verlor ich Familienmitglieder und daran trug ich schwer. Sie waren unsere Verbündeten, unsere Vertrauten und meine beiden Cousins und meine Cousine und ich waren in dieser Zeit fast unzertrennlich.
Meine Eltern waren sich damals nicht einig über unseren Verbleib in Deutschland, denn für meinen Vater waren die USA das Land der Freiheit und des Wohlstands. Und es war ein Land, das weit weg von „den Russen“ war. Für meine Mutter bedeutete es aber die weiteste Entfernung von ihrer Familie. Ich bin während meiner Teenagerzeit und auch als Erwachsene immer wieder froh gewesen, daß meine Mutter sich durchgesetzt hatte. Ich liebe Europa.
Und so bauten wir in Deutschland eine neue Existenz auf und einige Jahre später durften einzelne Familienmitglieder wie meine Großväter und meine Großmutter zu uns zu Besuch ausreisen. Die Mutter meines Vaters allerdings haben wir alle nie wiedergesehen, sie nahm sich 1978 das Leben.
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As I have told last week, my brother had been officially expatriated from Czechoslovakia a couple of months after our escape and was brought across the border to his waiting parents by the German Red Cross (and again I ask myself how they must have felt). He must have been approx. 1 ½ years old and had spent the months until his expatriation mostly with my grandmother (on my mother's side) and my mother's brothers. However, we have to be grateful to my grandfather (on my father's side) for his efforts and obstinacy because he fought the battle with the authorities, supplied all the necessary documents and fought for the right of my parents to be united with their child. Until today I don't really know how he did that. But I do remember my grandfather well and I can imagine his determined discussions with the authorities.
Needless to mention how my brother was spoilt in those months. According to my mother's narrations the train ride from the border back to the Ruhr area must have been dreadful because my brother cried for his grannie, for sweets, for his uncles – but he did not want to be with his own mother.
A couple of days after his arrival we had visitors from the local press and a photo of the happily reunited family had been printed in the papers.
It's hard to describe what happened in those days shortly after his arrival und whenever we think of these times we have to laugh a lot. My brother wanted to eat only sweets and therefore, he ate whipped sweet cream, chocolate and candies. All efforts to feed him with „normal“ food ended in tears, screaming attacks and fits of rage.
We already lived in Castrop-Rauxel at that time. We had left the town of Nürnberg quite quickly, had been moved to a similar facility in the Ruhr area and finally moved into one large room in a house in Castrop-Rauxel. A couple of months later we moved to Dortmund, into the very first own flat in Germany.
In those weeks and months we have met other Czech families or persons and my parents still know some of them today. But one event was unbearable for me: the departure of my father's brother and his family to the USA. Again, I lost family members and it affected me badly. They were our allies, our confidants and my three cousins and I were nearly inseparable in those days.
My parents did not agree about our staying in Germany because for my father the USA were the country of freedom and wealth. And it was the one country farthest away from „the Russians“. For my mother it meant the biggest distance to her family. As a teenager and also as an adult I have always been happy about the decision to stay in Germany, I love Europe.
We started to make a new life for ourselves in Germany and a couple of years later single family members such as my grandfathers and my grandmother were allowed to visit us. However, all of us never saw my father's mother again, she took her own life in 1978.